Darf ich Sie umarmen? Ja. Seine Arme umfassten sie sofort. Keine freundschaftliche Umarmung, keine Höflichkeitsumarmung. Er hielt sie fest, sein Leben hing davon ab. "Ich habe jetzt etwas mehr Knochen". Warum sagte sie so etwas Dummes?! Seine Hände wanderten über ihren Rücken nach unten. "Das ist aber geblieben".

Die Kälte der Novembernacht raubte schnell die Wärme seiner Umarmung. Die Erinnerung, wie fest er sie an sich ranzog, brannte in ihrem Hirn. Nicht nachdenken. Es hat sich nichts verändert. Er sagte, sie darf nicht darüber nachdenken. Keine Komplikationen, er würde sie beschützen. Beschützen? Mein Herz, sie kam aus der Gosse, aus der unteren Unterwelt. Ist sie dreieinhalbtausend Kilometer gereist, um das von ihm zu hören? Wenn wir beide die Stimme Gottes sind, und wir uns unterhalten, führt Gott dann ein Selbstgespräch? Was für ein Gedanke...

Sie sollte nicht vor bösen Menschen oder widrigen Lebensumständen beschützt werden, sondern vor den falschen Wegen. Das erkannte sie nicht, immer noch blind vor Schmerz. Wenn er sie nicht jedes Mal mit Gewalt zurück auf den Pfad gezerrt hätte... Der Schleier lüftete sich allmälig - Trümmer, überall. Sie hatte sein Vertrauen und im Glauben, das Richtige zu tun, hatte sie alles vermasselt.

"Gib mir Futter!" Sie griff nach seinem Kragen. "Nein, das füttert nur den Teufel"- er konnte oder wollte sich nicht rauswinden. Mein Herz, was dachtest du denn, wer ich bin? "Keine Angst, ist gleich vorbei" - sie löste langsam ihren Griff.

Sein Deo klebte an ihrem Kleid und ihren Haaren. Bei jeder Kopfbewegung roch es nach ihm. Im Dunkeln legte sie sich hin, ohne das Kleid auszuziehen, Haare im Gesicht, wie ein krankes Tier. Umhüllt von seinem Geruch schlief sie ein.

Gab es noch etwas, weswegen sie hier bleiben sollte? Wenn sie sich einfach in der Dunkelheit auflöst, würde überhaupt einer merken, dass sie nicht mehr da ist? Nicht nachdenken, einfach weiter atmen, weiter malen, solange der Körper mitmacht.  Etwas Zeit hatte sie noch...

09.11.2012